Pascal Piller: Chicle

6. März 2010 – 1. Mai 2011

9 karte

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Chicle, jeweils 100 x 150 cm, 4832 Kaugummis auf Plexiglas, 2010/11

zerbeissen, kneten, zusammenkleben, glätten, verformen, langziehen, rundmachen, ringformen, verbinden, zusammenstauchen, auseinanderziehen, lecken, aufblasen, trocknenlassen, perforieren, strukturieren, platzenlassen, falten, drehen, befeuchten, zerkauen, strechen, auseinanderreissen, anknabbern, zerbeissen, überlappen, drücken, wälzen, flachdrücken ...

*Chicle ist ein milchigweißer Saft, der aus dem Breiapfelbaum gewonnen wird. Es handelt sich dabei um einen Kaugummirohstoff, der schon 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung von den Maya genutzt wurde. Man wusste von der beruhigenden Wirkung des stetigen Kauens und kaute auf Stücken aus verfestigtem Chicle. (*aus Wikipedia)

In dieser Arbeit setze ich mich mit einem Material auseinander, das in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist: Kaugummi. Oft wird es unbewusst gekaut, auf der Strasse und in Bahnhöfen kleben sie später "verbraucht" und unbeachtet auf dem Boden oder unter Sitzbänken. Sie führen vielfach ein Schattendasein. Gewöhnt an ein Alltagsritual nehmen wir sie selbst dann nicht mehr richtig wahr, wenn sie in unserem Mund verformt und wieder verformt werden…

In einigen Städten waren sie verboten. Singapur verhängte 1992 ein solches Kaugummiverbot. Nicht nur der Verkauf, sondern auch die Herstellung und der Import von Kaugummis war strafbar. Diese Restriktionen sollte der Reinhaltung von Strassen, Häuser, Bussen und U-Bahnen dienen. Seit 2004 sind sie dort jedoch wieder zu haben; mit Arztrezept in Apotheken.

Diese Grenze zwischen dem süss, farbig, verführerischen Genussmittel, das nicht nur Kinder magisch anzieht und der ekelerregenden, unhygienischen und verbraucht, auf der Strasse liegenden Materie, die allgemein als optische Verunreinigung unserer Umwelt abgetan wird, interessiert mich. Ein Material zwischen Verlockung und Ekel.

Dazwischen liegt der menschliche Akt des Kauens, während 30 – 60 min. etwa, wird gekaut, nach individuellen Vorlieben vorzugsweise mit den Backen- oder Schaufelzähnen, Zunge oder Lippen.

Für mich bedeutet dieses gewohnte Kauen mehr als nur Genuss und frischen Atem. Vielmehr sehe ich den Vorgang als ein ständiges und unbewusstes Gestalten und Modellieren einer Masse. Formen entstehen nur, um im nächsten Moment wieder zerstört, verändert, angepasst zu werden. Es bilden sich ständig neue, kleine Skulpturen, die durch unser Mundwerkzeug unaufhörlich geformt, gebissen und zerteilt werden. Sie unterliegen einer ständigen Veränderung, einer Umwälzung und Umformung oder Anpassung an die Umstände, bis sie nach Entscheid des Gestalters im letzten verbleibenden Zustand erstarren. Dieses Ephemere ist spannend und irritiert zugleich, geht es doch nicht wirklich um das gestaltete Produkt sondern eher ums Tun selbst, um der Gestaltung, des Kauens wegen. Das gestaltete Objekt bleibt Mittel zum Zweck und wird unwichtig, unbeachtet, sobald es in seiner Endform nicht mehr verändert und weggeklebt wird.

Das Werk sehe ich an als eine Untersuchung über die Gestaltbarkeit der Materie „Kaugummi“. In Momentaufnahmen versuche ich Teile dieser Auseinandersetzung festzuhalten. Damit möchte ich dem Betrachter die Möglichkeit bieten sein Bewusstsein für dieses eigenartig verändernde Material schärfen.


Pascal Piller, 2011

 

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