Franziska Furrer: Zeitfenster

7. März – 2. Mai 2010

5 webpostkarte

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Das alte Haus an der Bahnhofstrasse und seine zwei für zeitgenössische Kunst zur Verfügung stehenden Fenster bilden einen spannenden Gegensatz. Einerseits werden Teile der Geschichte des alten Hauses bewahrt, andererseits erhält dieses durch die Plattform für Gegenwärtiges eine neue Identität. Es entsteht die Möglichkeit, Strukturen aufbrechen zu lassen, Wahrnehmung zu schulen und den Blick auf Neues und noch Unbekanntes frei zu machen. Das Haus scheint nicht mehr nur das zu sein, was es war, sondern erhält dem Wandel der Zeit unterworfen eine weitere Deutung, die sich wie eine neue Schicht über das alte legt. „Geschichte“ und „Schwarzes Loch“ können als Reaktion auf diese Gegebenheit gelesen werden.

In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung dem Alltäglichen verschrieben hat Franziska Furrer in ausdauernd repetierender Handarbeit ihre Werke aus den banalen Materialien Leim und Veloflicken realisiert. Sie bezieht sich auf die den Materialien innewohnenden Qualitäten, fordert deren Eigenheit, ästhetische Potenz und Möglichkeit heraus. Die Künstlerin gelangt an einen Punkt, an dem das Material so verdichtet wird, dass die gewohnte Erscheinungsform verändert oder verschoben wird und etwas Neues, Verborgenes und Überraschendes zum Vorschein kommt. Erwartungen, die an Alltägliches gestellt werden, verwischen und gängige Wahrnehmung wird hinterfragt. Aus den Veloflicken, die zu Ansammlungen über kleine schon vorhandene Löcher geklebt wurden, ergibt sich ein eigentümliches Muster und der Leim, zu Fladen gegossen und Stapeln geschichtet verzaubert durch eine verführerisch wirkende Oberfläche. Die Frage nach Sein und Schein drängt sich auf, da Gewöhnliches ganz ungewöhnlich erscheint und einen neuen Ausdruck erhält.

Wie ein roter Faden zieht sich eine Auseinandersetzung mit Zeit durch Furrers Arbeit. Die Werktitel verweisen auf Vergangenheit. Schwarze Löcher existieren schon, bevor sich Galaxien entwickeln und Schichten werden im Laufe der Zeit zu Bergen abgelagert. Wobei die Hoffnung besteht, dass Gewesenes nicht gänzlich von einem schwarzen Loch aufgesaugt oder vollständig von neuen Schichten überdeckt wird. Obwohl die Künstlerin die Materialien in deren Sinne verwendet, indem sie Leim an sich selbst haften lässt und Flicken über kleine Löcher klebt, werden die Materialien aus ihrem Verwendungszusammenhang enthoben und in ihrer Geschichtlichkeit in Frage gestellt. Durch die mit einer ins Absurde geführten Handlung entwickelten Arbeiten entstehen (da sie ein Ergebnis eines lange andauernden Ablaufs sind) neue Zeitspeicher. Sie werden zu einer persönlichen Ansicht von Geschichte, die in die Gegenwart überführt und im Jetzt präsentiert wird. Die beiden Fenster an der Bahnhofstrasse werden auf diese Weise zu eigentlichen Zeitfenstern, indem sie den Blick für einen bestimmt andauernden Zeitabschnitt auf eben diese Zeitspeicher frei geben. Dabei gilt das Augenmerk nicht nur der Vergangenheit, sondern der Veränderung von Erfahrungen in der Gegenwart.

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