Rahel Fuchs: Faltungen

10. Februar – 31. März 2013

17 webkarte

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FALTUNGEN

Sachseln. Ein bisschen, so finde ich, steht dieser Ort mir im Herzen nahe, weil ich jemanden kenne, ein Grossonkel von mir, der ganz in der Nähe von hier, eigentlich überall in Obwalden, sein Lebenswerk vollbracht hat. Ein, wie es mir als Kind bereits erschien (und vielleicht deshalb auch noch heute), bemerkenswertes und wundervolles Leben (ja, voller Wunder). Er hiess Leo Lienert, der Oberförster von Obwalden. Der Löwe der den Luchs zurück in die Schweiz brachte. Wenn ich an Sachseln denke, sind es deshalb gleichzeitig wilde und zarte, urchige und mystische Geschichten und Bilder die in meinem Innern entstehen, tief verwurzelt mit der Erde, den Bergen, dem Wald.

Wenn ich künstlerisch Arbeite schöpfe ich aus dem in mir drin, was mich berührt und bewegt, entstehend aus Begegnungen mit einem Gegenüber, sei es ein Wesen, ein Ort, ein Gegenstand, eine Situation, ...
Spielerisch und prozessorientiert taste ich mich heran an mögliche Ausdrucksformen, schöpfe intuitiv meine Empfindungen, Gedanken, Intentionen und Ideen in Formen, gebe ihnen Gestalt. Meine Kunst spielt sich eher im Unbenennenden, Subtilen ab. Deshalb möchte ich hier einfach eine kleine Geschichte erzählen:

Sie streicht sanft mit ihren runzligen Händen über die Falten des sauberen weissen Leintuchs um sie glattzustreichen, nur dass sich gleich noch mehr Falten zusammenschieben hinter ihrer Handkante. Also löst sie die beiden unteren Ecken des Tuches nochmals unter der Matratze hervor, hebt es mit einem langsamen und doch schwungvollen Ruck in die Höhe, und lässt das Tuch sinken. In einer zeitlupenförmigen Welle legt es sich auf das Bett nieder. Wie eine Lunge die langsam aber zum letzten Mal ausatmet.

Sie denkt an die Berge. Wenn sie früher im Winter jeweils mit dem Zug hierhergefahren ist - und das ist sie damals ausschliesslich im Winter - dann hat sie zum Fenster hinausgeschaut und die näher kommenden Berge bestaunt. Der See lag friedlich da und gerne wollte sie eintauchen in ihn, so eisigkalt wie sie ihn zu dieser Jahreszeit vermutete, und, nur die Nase und die Augen aus dem Nass streckend, wie ein eingefrorener Fisch den Blick nicht mehr ab den sanft geschwungenen Bergflanken wenden.

Vielleicht wäre es noch besser von unter der Wasseroberfläche hinüberzuschauen, denkt sie jetzt. Dann würde der eisig aber zärtlich wehende Wind das Wasser streicheln und die Wellen würden die Landschaft noch erotischer zeichnen. Sachte schwingende, rollende, wellende Hügel. Diese reinweissen, sich prall in den Himmel reckenden Körper, die da in der verschneiten Welt liegen. Seit Jahrtausenden, vermutet sie, so unschuldig und doch kraftvoll in ihrer Ruhe. Dann würde sie die Berge wirklich atmen sehen.

Als sie aus dem Zimmer geht schiebt sie mit der Hüfte im vorbeigehen noch die Schublade der alten Holzkommode zu, in der die Leintücher sorgfältig zusammengefaltet und aufeinandergelegt liegen. Wie sie selbst warten sie mehrheitlich. Bald wieder kommt der Frühling, denkt sie, und die Samen welche in der dunkeln Erde liegen werden sich unbemerkt regen. In diesem Moment, dem einen der genau richtig ist, werden sie die schützende, bewahrende Hülle, die lang geruhte Haut, aufsprengen. Diesen Frühling noch, das weiss sie, wird sie die Sprossen sich aus der Erde herausdrücken sehen, wie sie weich und doch so voller Kraft, den schweren nassen Erdenboden aufstossen.

Rahel Fuchs, Januar 2013

 

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