Paula Troxler: Isolabella

6. Dezember 2009 – 14. Februar 2010

4 web karte

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„Als ich von Anna-Sabina Zürrer und Evelyne Donno-Temperli angefragt wurde, im „schau!fenster“ auszustellen, äusserten die beiden den Wunsch, dass meine Arbeit eine Auseinandersetzung mit dem Haus der Bahnhofstrasse 6 und/oder mit dem Dorf Sachseln beinhaltet. Im bekam einen Schlüssel, der mir Einblick in die Zimmer gewährte und die Bestärkung, dass ich jegliche Schränke und Kisten öffnen dürfe als Teil meiner künstlerischen Recherche.

Ausgerüstet mit Zeichnungsstiften, Kamera und einem Schlüssel, der mir die Türen der Bahnhofstrasse 6 öffnen sollte, begab ich mich am Morgen des 13. Oktobers von Zürich nach Sachseln. Die ersten Schritte durch das Haus an der Bahnhofstrasse waren beklemmend. In fremde, mir unbekannte Leben hinein zu schreiten und die Legitimation zu haben, Kisten mit Hinterlassenschaften zu öffnen, war ungewöhnlich und brauchte eine gewisse Überwindung. Auf der einen Seite waren persönliche Dinge, Fallengelassenes, Aufgehängtes und Arrangiertes der heutigen Bewohner zu sehen. Auf der anderen Seite war es der Nachlass von Herrn Rohrer, der sich vom Keller bis in den Dachstock erstreckte. Behutsam und mit dem eigenartigen Gefühl niemanden wecken zu wollen, obwohl gar niemand schlief, durchschritt ich Zimmer für Zimmer, begab mich vom Dachstock in den Keller und wieder zurück. Wie mit Samthandschuhen öffnete ich nach erstem Zögern Schränke und Kisten. Viele verschiedene Objekte und Erinnerungsstücke habe ich vorgefunden, die mir auf ihre Weise Geschichten von Vergangenem erzählten. In der Stille des Hauses reihten sich an jenem Morgen die Gegenstände wie zu einem Museum eines Menschenlebens. Ich hatte das Gefühl einen Geist geweckt zu haben, was mir unheimlich vorkam, und ich wusste nicht, ob man das darf.

Um diesem Gefühl zu entkommen und zu sehen, in welche Umgebung das Haus eingebettet war, begab ich mich zu Fuss durch Sachseln. Bei meiner Erkundung fiel mir auf, dass sich in Sachseln neben den Haupthäusern oft noch kleinere Häuser befinden. Da gab es Häuser für die Kinder, Gartenhäuser, Erholungshäuser, verwachsene und bekletterbare Häuser. Mit ebenso grossem Interesse las ich die Namen der Häuser und betrachtete die Schmückung der Gärten durch eine Art Kunstgegenstände.

Ich kehrte zum Haus zurück und öffnete den Schrank im untersten Stock, wo die Hinterlassenschaften von Herr Rohrer in Kisten untergebracht waren. Darin entdeckte ich zwei fast identische Gegenstände. Es waren zwei kleine, runde Bilder in einem rhombenförmigen Rahmen, auf denen - ganz altmodisch koloriert - eine Insel abgebildet war. Lediglich der dargestellte Vordergrund unterschied sich in der zeichnerischen Interpretation, ansonsten waren sie identisch. Unterhalb der Zeichnungen stand ISOLABELLA.

Dies schien mir der Schlüssel zu einem Gefühl zu sein, das ich erst nicht zu fassen vermochte. Vorher im Dorf waren mir diese eigenartigen Zweit- oder Zusatz-Häuser aufgefallen, wie ich sie in solcher Anzahl und Dichte noch nirgends gesehen hatte, und nun fand ich dieselbe Sichtweise in den Tafelbilder von Isolabella wieder:

Die Insel präsentierte sich auf dieselbe Art und Weise wie die Häuser in den Gärten und wie die Hinterlassenschaften, das Liegengelassene und das Arrangierte im Haus. Ich empfand es als persönlich entdeckte innere Verwandtschaft, die sich mehr und mehr zu bewahrheiten schien und ich fand fortlaufend neue Belege dafür. In gewisser Weise war es eine Konservierung der ‚kleinen’ Welt, wo man an alten bewährten Dingen festhält und in die nichts Böses eindringen kann. Inseln, auf denen nichts irritiert und die man noch zu verstehen glaubt. Eine eigens gebaute Rückzugsmöglichkeit, die auch durch ihre geringe Grösse überblickbar und rein bleibt. Das Bild der Häuser trägt in sich eine gewisse Sehnsucht, und darin das Festhalten des Vergangenen. Ich sehe es als eine Art Traumbild, das unwirklich scheint, wie eine Theaterkulisse oder ein schönes Gemälde, und doch war es auch real vorfindbar auf dem Dachstock, im Keller in den Objekten und in den Gärten.

Aus diesen Gedanken ergab sich die Dreiteiligkeit meiner Arbeit im „schau!fenster“:
Im linken Fenster zeige ich eine Vielzahl von Gefühlen, die sich zu einer Stadt, Insel und Landschaft formieren. Im rechten Fenster sind Kompositionen mit geschnittenen Einzelteilen zu sehen, die zusammengefügt ein (im Haus oder in Sachseln vorgefundenes) Stillleben ergeben werden, und schliesslich eine Auswahl der von mir beschriebenen Zweithäusern.“

Paula Troxler, im November 2009

 

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